Briefe aus Berlin 2011

Früchte Sozialer Bewegungen 
Juli 2011

Die Ökofeministinnen Koreas und die älteste Frauenuniversität der Welt: Umweltbewegte Frauen in Korea, Tanzende Funktionärinnen
auf dem 9. internationalen Frauenforschungskongreß in Seoul.
von Elisabeth Meyer-Renschhausen, Juni 2005

Buchrezensionen

Ist der Sojaanbau eine heimliche Kriegswaffe gegen die bäuerliche Landwirtschaft? eine Rezension des Buches "Der Soja-Wahn – wie eine Bohne ins Zwielicht gerät" von Norbert Suchanek

Elisabeth Meyer-Renschhausen: Briefe aus Berlin

Berichte aus der sozialökologischen Szene: vom Allmende-Kontor bis zu zukunftsorientierter Zusamenarbeit geschrieben oder zusammengestellt von Elisabeth Meyer-Renschhausen, freie Journalistin und Wissenschaftlerin -- und WLOE Gründungsmitglied.

Wie ich zu der Idee des „Reclaim the Commons“ kam

Ich war wohl so in etwa in der 11. Klasse, als ich die Schülerzeitung übernahm. Der Name der benachbarten Oberschule für Jungen imponierte mir: „Allmende“ = die Allgemeine für alle, die, die allen gehört. Natürlich kam ich damals nicht auf die Idee, unsere Schülerzeitung etwa „Gemeinheit“, „Common(s)“ oder „el Ejido“ zu nennen.

Im Studium während der frühen 1970er Jahre brüteten wir nachmittags über Karl Marx Schriften. Er sah die „Einhegung der Allmenden“ als eine DER Ursachen an, der zur Verarmung besonders der „unterbäuerlichen Schichten“ auf dem Lande führte, die nun kein Weideland für ihr weniges Vieh mehr hatten. Sie verloren alle „Zugangsrechte“ zu dem bisher der Dorfgemeinschaft gemeinsamen Acker- und Waldland. Es war die erste große Privatisierungswelle im16. Jahrhundert. Pauperismus und Elend waren die Folge. (Nachzulesen im 24.Kapitel des ersten Bandes des „Kapitals“.) Rosa Luxemburg machte später auf die „fortgesetzte ursprüngliche Akkumulation“ aufmerksam: Auch um 1900 noch wurde im Zuge der Kolonialpolitik Völkern im Süden der Erde ihre alten „Gemeinheiten“ weggenommen, um sie modernen Kapitalgesellschaften zuzuschlagen. Die Folge war und ist ein anhaltender Verarmungsprozess in der so genannten „Dritten Welt“. Bis heute nehmen etwa Staudammbauten eingesessenen Bauernschaften meistens entschädigungslos ihre Äcker weg. Derzeit „verpachtet“ beispielsweise der äthiopische Staat Ländereien an ausländische Privatfirmen, die seit Jahrhunderten von den dort lebenden Bauern-Nomaden genutzt werden.

Unsere Frauenwohngemeinschaft in Berlin tauften wir in einer wilden Nacht im Herbst 1980 sarkastisch „Winterelend“, da mit der „Umverteilung des Reichtums“ bis auf weiteres ja leider wohl nicht zu rechnen war. Durch die WeGe „Winterelend“ stieß ich auf Ivan Illichs Schrift „Das Recht auf Gemeinheit“. Ihm ging es um die „Allmenden“ in diesem wie in jenem Sinne: der Verlust der regionalen Sprachen durch die Einführung der Hochsprachen im Zuge der Herausbildung der Nationalstaaten und der Verlust von gemeinsamen Ländereien von vernakulären Gemeinschaften gehörten für ihn zusammen. Ehemals selbständige Sprachen wurden zum Dialekt erklärt, die, die sie sprachen, galten nun als ungebildet. So hatte man auch einen guten Grund, diesen ungebildeten Bauerntölpeln auch ihre Gemeindewiesen absprechen zu können, um sie etwa dem Besitzstand eines aufkommenden absolutistischen Nationalstaats oder dem damals entstehenden Großgrundbesitz zuschlagen zu können. Später im Zuge der beginnenden Frauenforschung verstanden wir, dass die Frauen resp. Kleinbäuerinnen bis heute die „bevorzugten“ Opfer dieser Raubzüge waren und noch sind.

2002 sah ich in New York auf der Tagung der American Community Gardners Association Conference auf den Film „A Lot in Common“, der von der Erstehungsgeschichte dreier Community Gardens in Berkeley erzählte. Einer ihrer Gründungsväter war der damals etwa 75-jährige Karl Linn, er war da und wollte mir sprühend vor Begeisterung alles sofort erklären. Er war 1923 im brandenburgischen Dessow auf der Bodenreform-Farm seiner Mutter Henny Rosenthal geboren worden. Als Landschaftsarchitekt hatte er später in Philadelphia um 1960 zusammen mit seinen Studenten und den Jugendlichen benachteiligter Stadtviertel auf Brachen die ersten „Commons“, wie er sie nannte, ins Leben gerufen. Gemeinsam hatten sie vermülltes „Wasteland“ durch Eigenarbeit in grüne, öffentliche Plätze für die lokale Anwohnerschaft verwandelt.

Später wurde Karl Linn einer der Gründerväter sozusagen der nordamerikanischen „Community Gardening“-Bewegung und sprach vom „Reclaim the Commons“, als einem Prozess eines sich Wiederaneignens der Allmenden. Er schrieb sogar darüber, dass unserer Aufgabe heute sei, „to reclaim“ die „sacred commons“, wie er es als Zugehöriger zur Gruppe der Immigranten, die ja stets landlos sind, besonders scharf sah. Später sah ich in Boston, dass der große öffentliche, innerstädtische Park „Boston Common“ hieß, da er ursprünglich einmal eine gemeinsame Weide der Bostoner gewesen war. Und ich verstand, dass der Slogan „To Reclaim the Common(s)“ in den USA der Schlachtruf ist, der unglaublichen Ausverkaufswelle von Boden, Wasser, Feuer resp. energiebetrieben und Bodenschätzen und sozusagen auch der Luft (Luftverschmutzungszertifikate) zu begegnen.

2006 traf ich in der Bahn einen der Künstler aus unserem Arbeitszusammenhang AG Kleinstlandwirtschaft, www.urbanacker.net. Er war gerade gebeten worden, für einen Kunstkatalog einen Artikel zum Allmende-Begriff schreiben zu sollen und fragte mich, ob ich nicht mitmachen wolle. Beim Schreiben stritten wir uns ein wenig, ob wir die „Tragedy of the Commons“-Theorie überhaupt einbeziehen sollten. Ich war dagegen, weil diese Theorie m. E. ein gezielter Angriff auf die Idee der Allmenden generell war.

Ab 2009 wurde ich in den Prozess der Öffnung des ehemaligen Tempelhofer Flughafens einbezogen. Meines Erachtens geht es darum, das Flughafen-Land für den Niesbrauch (das Recht etwas benutzen zu dürfen) durch die Allgemeinheit zurück zu erhalten. In Zeiten, in denen in sich zusammenfallende Staaten immer mehr Erwerbslose produzieren, bedeutet das insbesondere, das Recht auf eine sinnvolle Beschäftigung in Gemeinschaftsgärten zu „reklamieren“, z.B. in Form von Interkulturellen Gärten, die m. E. auch die Antwort auf den Klimawandel sind. Und die dem Schindluder, der mit dem Mutterboden in den letzten zwei Jahrhunderten getrieben worden ist, durch nachhaltige Landwirtschaft und Kompostierung zu begegnen geeignet sind. Also war es eigentlich nur nahe liegend, dass unser neues Gemeinschaftsgarten-Vernetzungsprojekt auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof samt großem Garten für alle, den Namen „Allmende-Kontor“ bekam.

Elisabeth Meyer-Renschhausen, Berlin, den 14.8.2011